PRA – Eine Zwischenbilanz

Diese Woche wurde bei dem Hund einer Blogger-Kollegin ebenso eine Progressive Retinaatrophie (PRA) diagnostiziert, wie bei Charlie. In dem kurzen Austausch, den wir dazu hatten, stelle ich fest, dass die PRA heute nicht mehr so dominant meine Blogbeiträge und auch nicht mehr so unser Leben beeinflusst. Sie ist da, Charlie lebt damit, wir lachen über kleine Unfälle und ich bin unfassbar stolz darauf, wie Charlie die Erblindung meistert. Aber welcher Hundehalter ist nicht stolz auf seinen Hund? Zeit also für eine Zwischenbilanz. Wie haben sich Charlies Augen verändert? Wie kommen wir zurecht? Wie hat er den Umzug in eine neue Umgebung gemeistert? Wie findet er sich an unbekannten Orten zurecht?
Ich erinnere sehr genau meine Gefühle während und nach der Diagnose PRA. Als klar war, Charlie würde unweigerlich und unheilbar erblinden, seine Netzhaut unhaltbar degenerieren. Ich war wütend, enttäuscht, verzweifelt und traurig. Warum ausgerechnet Charlie? Warum ausgerechnet eine unheilbare Krankheit? Und warum in so jungem Alter? Charlie war zum Zeitpunkt der Diagnose höchstens drei Jahre alt, eher jünger. Ich hatte mit ihm in dem Jahr, das er vor der Diagnose bei uns lebte, viele Sichtzeichen trainiert, war stolz wie Oskar, dass ich mit beiden Hunden ohne Lautkommandos arbeiten konnte und wir nahezu lautlos durch den Wald spazierten. Und dann passierten sonderbare Dinge in der Dunkelheit. Charlie lief gegen eine Parkbank, gegen einen Pfosten, stolperte eine Treppe hinunter. Hatte ich ihn vorher oft als ungeschickt und ungestüm wahrgenommen, so machten mich diese Vorfälle stutzig. Und kurze Zeit später bekamen wir dann die endgültige Diagnose PRA.
Nach dem Schock
Die Diagnose war anfangs ein Schock. Ich fand die Welt ungerecht. Doch da ich mich selten lange mit solchen Gefühlen aufhalte, stellte ich ziemlich schnell auf “Aktionismus” um. Suchte nach Informationen, Trainingsansätzen, Hilfen für meinen Hund. Und stellte fest: Es gibt kaum Inhalte zu diesen Themen zu finden. Medizinische Erläuterungen gibt es viele, emotionale oder praktische eher wenig. Der Entschluss, unser Zusammenleben und die PRA zu protokollieren war gefasst. Und dieser Blog entstand.
Eine meiner Cousinen ist Hundetrainerin. Mit ihr nahm ich sofort Kontakt auf, um mögliche Trainingsansätze zu entwickeln und zu besprechen. Über meinen Freundeskreis erfuhr ich von einer Tierheilpraktikerin, die Charlies “Fall” sehr spannend fand und ein Konzept entwickelte, wie ich sein Selbstbewusstsein stärken und ihn unterstützen könnte. Nach nunmehr zwei Jahren mit Carolin an unserer Seite kann ich sagen: Sie ist eine tolle Hilfe, eine gute Freundin und eine kompetente Stütze. Sie hat Charlie und auch mir geholfen, mit der Situation besser umzugehen und deutliche Zeit später sogar bei Lis gezeigt, was alternative Methoden alles bewirken können.
Natürlich hatte ich auch in dieser Aktionsphase nachdenkliche Momente und auch Angst, dass wir es nicht gut miteinander schaffen würden. Dass sein gerade gewonnenes Selbstbewusstsein geschwächt werden würde. Und doch fand ich immer wieder einen Weg, damit umzugehen. Bedrückte mich etwas, probierte ich einfach eine Gegenmaßnahme aus. Bloß die traurigen Gedanken nicht Überhand nehmen lassen. Die gute Laune behalten und optimistisch bleiben, damit Charlie nicht von mir beeinflusst wird.
Wie macht sich die Erblindung heute bemerkbar?
Charlie ist bei Dämmerung, Nacht und schlechtem Licht völlig blind. Manchmal denke ich bei Sonnenschein, dass er noch Schatten wahrnimmt, mein Tierarzt macht mir hier aber nicht viel Hoffnung. Jedoch orientiert er sich meistens so gut, dass es überhaupt nicht auffällt. Er orientiert sich bevorzugt an anderen Hunden, Lis oder seinen Kumpels. Ist er an der Leine oder kein Hund in der Nähe, orientiert er sich an mir. Und wenn er mal auf sich alleine gestellt ist und niemanden als Leittier nutzen kann, kommt er sehr gut zurecht, so lange er konzentriert ist. Ist er aufgeregt und unkonzentriert, nimmt er Hindernisse nicht wahr und es kommt zu kleinen Zusammenstößen. Auch Hindernisse auf gewohnten Wegen sind ein Problem für ihn. Ein neuer Zaun am Wegesrand, ein unachtsam aufgestellter Karton oder ähnliches – Garanten dafür, dass es rappelt. Wenn Charlie einen Weg kennt, dann läuft er ihn “aus dem Kopf” und achtet nicht darauf, ob eine neues Hindernis darauf liegen könnte. Und wenn es dann knallt und er dagegen läuft, wirkt er meistens empört darüber. Und aus lauter Empörung und Unverständnis läuft mein kleiner Dickkopf gleich noch einmal dagegen. Denn in seiner Welt darf es dieses Hindernis nicht geben.
Die Augen
Seine Augen haben sich in den vergangenen zwei Jahren deutlich verändert, meistens schimmern sie grün-blau, auch auf Fotos. Wobei ich mittlerweile eine Technik entwickelt habe, Fotos ein einem Winkel aufzunehmen, in dem das Schimmern kaum sichtbar ist.
Wenn allerdings Dritte, wie in diesem Fall die wundervolle Freundin von Onkel Mick, Charlie fotografieren, sieht man den Defekt an der Retina deutlich:
Dann sieht Charlie auf Fotos mal schnell aus wie ein Alien. Allerdings stören mich solche optischen “Mängel” herzlich wenig und fügen meiner Zuneigung keinen Abbruch zu. 😉
Meisterlich!
Ansonsten kann ich nur sagen, dass Charlie alles meisterlich löst. Er hat den Umzug im vergangenen Jahr ohne Probleme geschafft, sich sehr schnell an die neue Wohnung und auch an die neuen Spazierwege gewöhnt. Gehen wir unsere “Stammrunden”, flitzt und rennt er im Freilauf wie jeder sehende Hund auch. Anfangs hatte ich Sorge, ob er jemals wieder unbeschwert freilaufen kann. Diese Sorge habe ich heute nicht mehr. In fremdem Terrain gehören zwar “langsam” und “Vorsicht!!!” (Mit 3 Ausrufezeichen gerufen, wirklich.) zu meinem Standard-Vokabular, aber das kann ich verschmerzen. Auch die Ortung über Schnalzen klappt wunderbar und ich bin nicht gezwungen, mit Glöckchen an den Schuhen durch die Gegend zu laufen.
Im Alltag meistert Charlie alles so gut, dass wir oft gefragt werden, wie er sich überhaupt orientiert.
Wie ist also unser Leben mit der PRA?
Die Antwort kann nur lauten: Wunderbar. Charlie ist lebensfroh, aufgeweckt und macht einen glücklichen Eindruck. Er benimmt sich so gut oder schlecht wie jeder andere Hund auch. Er begleitet mich zu allen Anlässen, ob ins Hotel, eine Ferienwohnung, zu Freunden oder sonstigen Aktivitäten. Weder er noch ich sind eingeschränkt in unseren Handlungen und außer einer starken Bindung an mich, verbunden mit einer entsprechenden Trennungsangst, gibt es kaum Beeinträchtigungen. Manchmal reagiert Charlie stärker auf unbekannte Geräusche oder Lärm, das kann ich aber gut abfangen und er gerät selten noch in Panik. Gewitter und Feuerwerk erträgt er immer besser, ich habe die Hoffnung, dass er irgendwann überhaupt nicht mehr darauf reagiert.
Klar wäre es manchmal besser, wenn ich ihn länger als 30 Minuten alleine lassen könnte, ohne dass er in Panik verfällt. Aber hier haben wir tatkräftige Unterstützung von Onkel Mick, dessen Freundin und auch meiner Familie. Es gibt immer eine Lösung und eine Unterbringung für den Blindfisch, mit der er sich wohl fühlt und nicht gestresst ist.
Klar, das Leben mit einem blinden Hund ist anders. Aber nicht “schlimm” anders. Ich muss mehr quatschen (Sprachkommandos geben) als früher, aufmerksamer sein, da ich für ihn mit-sehe und insgesamt umsichtiger. Mal eben einen Koffer in den Gang stellen oder einen Hindernis-Parcour bauen sind keine gute Idee bei Charlies Dickkopf. Aber das sind Dinge, die ich gerne in Kauf nehme, solange Charlie glücklich ist. Seine Zufriedenheit ist mein Antrieb.
4 Antworten
Das Like-Herzchen ist gar nicht mehr da? 🙂
Jaja, der liebe Datenschutz. Ich bereiten den Blog auf die DSGVO vor und da bleiben leider manche PlugIns auf der Strecke. 🙁
Ah, nicht die böse Abkürzung *versteck* Betrifft mich arbeitsbedingt leider auch heftig.
Dann liken wir eben kommentarmäßig.
*like* 🙂
Ich finde es toll, wie ihr das meistert. Es hat mich schon immer fasziniert mit welcher Ruhe und Gelassenheit Tiere Unabänderlichkeiten (fehlende Gliedmaßen, Sinneseindrücke, Funktionalität von Körperteilen) hinnehmen. Alles was sie brauchen sind eine oder mehrere Personen die sie unterstützen. Ich hoffe, sollte ich selbst Jemals erblinden oder eine andere Funktion meines Körpers einbüßen, kann ich das ganze genau so gelassen hinnehmen wie Charlie und ebenso viel Lebensfreude behalten.
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