Eine verrückte Idee und vertauschte Rollen (Werbung)

Bereits im Oktober schrieb ich darüber: Charlie und ich laufen gemeinsam und werden in 2019 an zwei Canicross-Veranstaltungen teilnehmen. Was seitdem geschehen ist, wie sehr sich die Ereignisse überschlagen haben und welche vertauschten Rollen Charlie und ich nun einnehmen, davon berichte ich Euch in diesem Beitrag.
Aller Anfang…
Lief ich anfangs im Freilauf mit Charlie, um ihn erst einmal ans Laufen mit mir zu gewöhnen, so war trotzdem klar, dass wir irgendwann eine professionelle Ausrüstung benötigen würden. Ich recherchierte, fragte, verglich und landete irgendwann bei der Dogsport Company, genauer gesagt bei Bernd Dickel.
Bernd fand meine Idee spannend und unser Vorhaben gewagt, machte mir Mut, überprüfte meine Motivation auf „Herz und Nieren“ und nahm sich die Zeit für ein angenehmes, ausführliches Telefonat. Ihm war total wichtig, dass Charlie gerne und freiwillig läuft und ich die richtige Art der Beschäftigung gefunden habe. Als ich ihm dann erzählte, dass ich 20 Jahre keinen Sport gemacht habe, niemals gelaufen bin und nur für den verrückten Hund laufe, waren seine Zweifel besiegt. Und nicht nur das: Er entschied sich, das Sponsoring für Charlies Ausrüstung zu übernehmen!
Da uns etliche Kilometer trennen, entschieden wir, dass Bernd ein paar Geschirre zur Anprobe schicken würde. Natürlich hatte ich Charlie vorab vermessen, aber eine Anprobe ist unumgänglich. Von dieser Anprobe machte ich Fotos und schickte diese per Mail an Bernd. Es folgte wieder ein ausführliches Beratungsgespräch, ich musste den Sitz nochmals prüfen, mit und ohne Zugbelastung und ein paar weitere Einstellungen vornehmen. Doch letztendlich fand sich in seiner Auswahl das für Charlie passende Geschirr, in dem er sich auch natürlich und frei bewegt.
Nicht nur, dass Bernd uns klasse beraten hat und Charlie die Ausrüstung stellt, er hatte auch noch einen besonders tollen Tipp für uns: Den Kontakt zu einem Canicross-Sportler, dessen Hund während seiner Laufbahn erblindete und weiterhin Canicross läuft!
Schnell war ein persönlicher Kontakt hergestellt und in dessen Folge bekam ich eine Menge toller, wertvolle Tipps fürs Training! Unbezahlbar. Ich bin immer noch völlig sprachlos, wie toll der Zuspruch und die Unterstützung von Bernd und Andreas für mich sind!
Erste Gehversuche
Charlie hatte mit dem Geschirr keine Probleme. Fand das Laufen toll. Aber: neben mir, nicht vor mir. Ich schaffte es anfangs nicht, ihn in eine Führungsposition zu bekommen. Seine Rolle war nun mal immer die des Blinden, der auf meine Führung, ob körperlich oder stimmlich, angewiesen ist. Wie sollte ich ihm klar machen, dass sich dies nun ändern musste?
Jeden Schritt, den er vor mich machte, lobte ich überschwänglich. Mit der Folge, dass Charlie sich freudig zu mir umdrehte…
Erlösung von diesen ersten schleppenden Versuchen erlangten wir bei einem gemeinsamen Lauf mit Kerstin und Amber von Buddy schreibt! Als hätte Charlie nie etwas anderes gemacht, zog er die gesamte Strecke. Motiviert durch Amber lief er einfach los. Und ich hing hinten dran. Ein unglaubliches Gefühl, wenn man den Zug auf der Hüfte spürt und merkt, wie viel Kraft so ein schmaler Hund ausüben kann!
Das war unser Durchbruch. Nachdem Charlie meine Freudenjubel irgendwie mit dem Ziehen verknüpft hatte, entschied er sich, mir die Freude öfter zu bereiten. Leider anfangs nur auf dem Rückweg.
Da wir derzeit unter der Woche nur bei Dunkelheit laufen können, laufen wir am Rhein. Das ist zwar auf Asphalt und nicht Canicross, aber immerhin Lauftraining mit Zuggeschirr. Wir laufen von uns aus am Rhein entlang bis zu einem Schloßpark und dann wieder zurück. Auf dem Hinweg das bekannte Bild: Charlie neben mir. Doch sobald wir drehten und nach Hause liefen, ging er voran und zog! Ich belohnte jedes kleine Ziehen, freute mir ein Loch in den Bauch.
Und letzte Woche endlich der Durchbruch: Charlie zieht von Anfang an! Jeden Meter der Strecke verbringt er vor mir und auch wenn er nicht immer Zug ausübt, so läuft er vor mir und übernimmt die Führung. Ich bin unendlich stolz!
Der Unterschied zu anderen
Natürlich trainieren die meisten Canicrosser eher ohne Hund. Kondition aufbauen, Lauftraining, das ist für die meisten Hunde, die Rennen laufen, wohl eher langweilig. (Und sie sind bestimmt außerdem viel professioneller und sportlicher als ich.)
Was man aber nicht vergessen darf: Charlie ist blind.
Für ihn und uns ist es eine Herausforderung, dass er vor mir läuft und nur stimmlich oder über sanfte Leinenberührung von mir geführt wird. Es strengt ihn an und nach etwa einer halben Stunde merke ich, dass die Konzentration nachlässt.
Erst gestern waren wir wieder laufen und es klappte einfach alles toll. Wir liefen an anderen Hunden vorbei, überholten, trafen Radfahrer und Fußgänger. Und Charlie umschiffte jeden einzelnen in einem entspannten Trab. Er ist wie in einem Tunnel und konzentriert sich nur aufs Laufen. Wenn er zu wenig ausweicht, zupfe ich minimal an der Leine in die Richtung, in die er sich bewegen soll. Also wirklich nur ganz sanft mit zwei Fingern, dann ändert Charlie sofort seinen Kurs ab. Wenn er abbiegen soll, bekommt er stimmliche Kommandos, ebenso bei Hindernissen auf dem Weg.
Als wir dann am Ende unserer Runde angekommen waren, habe ich Charlie abgeleint, ich gehe dann ein wenig bis zum Ruhepuls und er kann ein wenig Schnuppern. Hatte er gerade noch geführt und war mein Held, so ließ die Konzentration sofort nach, nachdem die Leine ausgeklinkt war: Charlie lief geradewegs vor ein Klettergerüst auf der Wiese. Daran merke ich, wie sehr ihn das Führen beansprucht und wie fertig er danach ist.
Spannend ist, wie verrückt Charlie auf das Laufen ist. Er wird schon nervös, wenn ich die Laufklamotten anziehe. Kaum hole ich sein Zuggeschirr aus der Schublade, dreht er durch. Hüpft und springt und fiept. Dann springt er ins Sitz, damit ich es ihm anziehen kann. Und sobald er dann das Halsband und das Geschirr trägt, sitzt er vor der Türe und wartet, dass es endlich losgeht. Sind wir dann vor dem Haus und ich wechsle die Leine vom Halsband ins Geschirr, setzt er sich vor mich und trabt los!
Der Rollentausch
So ist es nun, dass es für Charlie und mich Momente gibt, in denen er sich aus meiner Führung und Verantwortung löst. Anstatt sich auf mich zu verlassen, verlasse ich mich nun auf ihn. Ich muss lernen, ihm zu vertrauen. Ihn voraus gehen zu lassen und so wenig wie möglich zu korrigieren. Und er wird merklich selbstbewusster. Mein Zuspruch gefällt ihm, er geht selbstbewusst voran und vertraut darauf, dass ich ihn warne, wenn er vom Weg abkommt. Und ich vertraue darauf, dass er sich orientiert, Abstände gut einschätzt und es ihm Freude bereitet.
Und mit jedem Training, dass wir so gemeinsam absolvieren, werden unsere Rollen entspannter. Und unsere Freude größer. Und unser Verhältnis zueinander anders. Charlie ist auch irgendwie noch stärker an mich gebunden, aber nicht mehr auf diese „Ich brauche Deine Hilfe“-Weise, sondern mehr als gleichwertiger Partner eines Teams. Er kann sich und mir beweisen, dass seine Erblindung uns keine Grenzen setzt, dass wir gemeinsam alles schaffen und dass er auch mal voraus laufen kann. Und ich ihm folge.
Und so bleibt mir nur, allen Akteuren und Unterstützern zu danken:
Danke Kerstin und Stephie, dass Ihr die Initialzündung ausgelöst habt!
Danke Bernd für Deine Beratung und Unterstützung!
Danke Andreas für Deine wertvollen Tipps!
Und danke Charlie, dass Du mich zwingst, den Hintern hoch zu bekommen und zu laufen!