Vom Wunsch nach Normalität

Vom Wunsch nach Normalität

Ich bin generell ein Mensch, der versucht, Normalität aufrecht zu erhalten. In allen Lebensbereichen. Ob ich nun darauf beharre, dass Charlie trotz Blindheit ein normales Leben führen kann oder nach einem Rückschlag recht zügig wieder weiter mache – Normalität oder das Gefühl davon beruhigen mich. Was Charlie angeht, bin ich damit erfolgreich, was Lis angeht, derzeit nicht. Es fällt mir schwer zu schreiben, ich bin blockiert und manchmal ratlos.

Das Leben mit den Anfällen

Das Leben geht weiter, auch wenn Lis epileptische Anfälle hat. Die ersten Anfälle waren unfassbar heftig, mit tonischen Krämpfen und katatonischen Zuständen danach. Wie die abliefen, könnt ihr in diesem Beitrag nachlesen. Danach haben wir eine medikamentöse Behandlung eingeleitet und homöopathisch unterstützt. Mit guten Erfolgen. Die großen Anfälle blieben aus, es gab lange Zeit nur kleinere Anfälle mit Zuckungen und Zähneklappern. Dann wurden die kleinen Anfälle häufiger und wir haben die Medikamente höher dosiert. Mit erneutem Erfolg. Lis hatte eine totale Hochphase, wieder Spaß am Leben, ist gerannt und hat Tricks gemacht. Sie war zwischenzeitlich so gut drauf, dass ich sie kaum wiedererkannt habe.

Wir haben uns Ziele gesetzt: “List hält bis Weihnachten durch.” Danach war Silvester das Ziel. Dann unser Ausflug ans Meer. Gestern noch war das Ziel Ostern in Verbindung mit einem weiteren Ausflug ans Meer.

Ein ganz normaler Tag endet in einer schrecklichen Nacht

Gestern war bei uns ein ganz normaler Arbeitstag. Wir waren im Büro, sind mittags eine schöne Runde gelaufen und ich habe sogar noch ein Video gemacht, wie Lis durch den Wald flitzt. Denn es ging ihr wirklich gut und sie lief fast ohne Einschränkungen. Kein schiefes Laufen, kein Anzeichen von Schmerzen und sogar ein “Lächeln” in ihrem Gesicht. Kurzum ein gut gelaunter, entspannter Hund.

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Wir hatten einen entspannten Abend, waren noch eine Runde spazieren und alles war gut. Bis ich nachts durch heftiges Zähneklappern von Lis geweckt wurde.

Das Zähneklappern hat zwei Varianten: 1. Es bleibt beim unkontrollierten Klappern für ein paar Sekunden und außer ein paar Zuckungen unter der Haut passiert nichts weiter. 2. Es steigert sich in einen großen Anfall.

Letzte Nacht war das Klappern heftig und andauernd, woraufhin ich einen Schal genommen und Lis zwischen die Zähne gestopft habe, damit sie sich nicht auf die Zunge beißt, wie schon öfter geschehen. Genau zur richtigen Zeit, denn sofort danach wurde sie steif und fiel zur Seite um. Steif von sich gestreckte Beine, wie in einem Comic. Nach wenigen Sekunden wandelte sich diese Steifheit in kräftige Zuckungen des gesamten Körpers, inklusive Entleerung der Blase. Ich hielt sie die ganze Zeit mit beiden Händen fest, damit sie sich nicht verletzen kann und den Schal nicht ausspuckt.

Währenddessen stand Charlie zitternd neben uns, sabberte und verstand die Welt nicht. Lis Anfälle verunsichern ihn massiv, er hat dann hohen Stress.

Nach 30 – 40 Sekunden war der Hauptanfall vorbei, es dauerte allerdings noch über 5 Minuten, bis ich Lis den Schal wieder aus dem Mund nehmen konnte, der Kiefer war völlig verkrampft. Währenddessen kontrollierte ich immer wieder die Atmung und den Herzschlag. Sie atmete flach, aber regelmäßig durch die Nase, das Herz raste.

Ansprechbar ist Lis in solchen Situationen leider nicht, sie ist wie abwesend und reagiert nicht auf mich. Nicht auf Berührungen, nicht auf Licht, keine Reflexe an den Augen feststellbar. Ich nehme an, da sie altersbedingt nicht mehr hören kann, dass sie in diesen Situationen völlig von der Welt abgeschnitten ist.

Nachdem der Anfall bzw. die Zuckungen vorbei waren, habe ich Lis in ein Handtuch eingewickelt und auf den Arm genommen. Sie bekommt davon irgendwie nichts mit, liegt eingewickelt auf mir und jammert. Ein herzerweichender Zustand.

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Entschuldigt die schlechte Qualität, aber nachts im Dunkeln war ich nicht in der Lage, ein besseres Video zu erstellen. Allerdings hört man am Anfang das Jammern ganz gut.

2 Stunden ohne Schlaf und Ruhe

Dieser Zustand des Jammerns und nicht Reagierens dauerte letzte Nacht gut 2 Stunden. Um 2:12 Uhr hatte ich Lis in ein Handtuch gewickelt und auf den Arm genommen, um 4:18 habe ich mich dann wieder ins Bett gelegt.

In diese Zeit saßen wir auf dem Sofa, Lis auf meinem Schoß, verwirrt und hilflos. Ich habe sie gehalten, gestreichelt, und zwischen Hoffnung und Verzweiflung geschwankt.

Ehrlich: In diesem Zustand ist ihr Leben aus meiner Sicht nicht wirklich lebenswert. Und ich habe ihr gesagt, dass sie gerne gehen kann, wenn sie keine Kraft mehr hat. Sie muss nicht wegen mir hier bleiben. Und doch hoffe ich immer, dass der Zeitpunkt doch noch nicht gekommen ist. Verflixte Situation.

Und dann kommt der “magische” Moment. Lis erwacht wieder aus diesem Zustand, strampelt sich aus dem Handtuch frei und will aufstehen. Ich habe sie also auf den Boden gesetzt. Sie steht auf – noch leicht benommen – schaut mich an und wackelt los in Richtung Schlafzimmer. Legt sich auf ihren Platz und schläft ein. Tief und fest.

Der Tag danach

Lis hat geschlafen wie ein Stein. Tief und fest, ohne weitere für mich wahrnehmbare Probleme. Als ich heute morgen aufstand, ist sie auch sofort aufgestanden und in Richtung Küche gelaufen. Forderte Frühstück ein, fraß vergnügt alles auf und benahm sich, als wäre nichts geschehen. Wir haben dann unsere übliche Morgenroutine gemacht, waren spazieren und sind ins Büro gefahren. Normalität eben. Das können wir.

Und nun liegt Lis im Körbchen unter meinem Schreibtisch und schläft. Beide Hunde sind müde von der aufregenden Nacht, ich auch. Sehr müde.

Heute Abend werden wir unserem Tierarzt nochmals einen Besuch abstatten, er soll sich Lis nochmals anschauen. Nur, damit ich das Gefühl habe, alles getan zu haben. Und dann werden wir nach Hause fahren und uns einen entspannten Abend gönnen. Hoffentlich gefolgt von einer Nacht ohne Anfall.

Normalität

Und so sehr ich mir Normalität für uns wünsche, so wenig normal ist bei uns alles in den letzten Monaten. Ich lasse Lis nicht mehr alleine zu Hause, versuche jeden Stress für sie zu vermeiden, verwöhne sie viel zu sehr und bin ständig besorgt wegen ihr. Es fällt mir schwer, über all die guten Dinge zu berichten, die uns passieren, über Charlies Fortschritte beim Lauftraining fürs Canicross, über unsere tollen Ausflüge, über den Jahreswechsel oder was auch immer. Deshalb, seid mir nicht böse, dass es hier etwas ruhiger geworden ist…

 

 

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